ERC Consolidator Grant für Konstanzer Chemikerin

Für ein Projekt zur Synthese von hochkomplexen Molekülen der Taxan-Familie mittels struktureller Dekonvolution erhält Prof. Dr. Tanja Gaich von der Universität Konstanz einen Consolidator Grant des European Research Council. Gefördert wird die Weiterentwicklung und Erprobung einer neuen Strategie zur Erzeugung von Naturstoffen, die bislang nicht im Labor hergestellt werden konnten.

Für ihr Forschungsprojekt mit dem Titel „Cooperative Synthesis by Molecular Deconvolution“ (CoSyMoDe) erhält Prof. Dr. Tanja Gaich vom Fachbereich Chemie der Universität Konstanz einen mit bis zu zwei Millionen Euro dotierten und auf fünf Jahre ausgelegten Consolidator Grant des European Research Council (ERC). Mit der Förderung wird sie eine neue Strategie zur Synthese von hochkomplexen Naturstoffmolekülen weiterentwickeln, die herkömmliche Verfahren vereinfacht und es ermöglicht, Naturstoffe im Labor herzustellen, die bislang nicht synthetisiert werden konnten.

Dies ist der zweite ERC Grant, den Tanja Gaich erfolgreich eingeworben hat. Bereits 2015 erhielt sie für ein nicht verwandtes Forschungsprojekt einen ERC Starting Grant und ist damit das erste Mitglied der Universität Konstanz, das zwei ERC Forschungsgrants eingeworben hat.

Warum die Naturstoffsynthese so wichtig ist
Tanja Gaich leitet die Arbeitsgruppe für Organische Chemie an der Universität Konstanz. Sie beschäftigt sich mit der Synthese von komplexen polyzyklischen Naturstoffen, insbesondere mit der Entwicklung von effizienten Synthesemethoden, mit denen diese sich im Labor herstellen lassen.

Naturstoffe sind sogenannte Sekundärmetaboliten, die nicht primär der Lebenserhaltung eines Organismus dienen. Dazu zählen etwa jene chemischen Substanzen, die ein Pilz ausschüttet, um potenzielle Konkurrenten abzuwehren und die ihm so einen evolutionären Vorteil verschaffen „Medikamente wie Penicillin (Antibiotikum) und der überwiegende Teil aller pharmazeutischen Wirkstoffe, die wir kennen, beruhen auf Naturstoffen“, erklärt Tanja Gaich. Diese für den Menschen sehr interessanten und hochwirksamen Stoffe treten jedoch in der Natur meist nur in sehr geringen Mengen auf. Mit Blick auf mögliche pharmazeutische Anwendungen ist die synthetische Herstellung daher absolut erforderlich.

Synthese von hochkomplexen Taxanen
Das trifft auch auf die Familie der Taxane, eine sehr große Gruppe von Naturstoff-Molekülen zu, die in hunderten verschiedenen Formen in Eiben vorkommen. Der darauf beruhende Naturstoff Taxol wird bereits seit über 30 Jahren in der Krebsbehandlung als eines der meistverkauften Tumortherapeutika eingesetzt. Während die Problematik des mangelnden Rohstoffes in diesem Fall bereits vor Jahren gelöst werden konnte, bleibt die Untergruppe der komplexen Taxane, von denen sich die Wissenschaft ebenfalls einen hohen pharmazeutischen Nutzen verspricht, weitgehend unerforscht.

„Das liegt daran, dass diese Taxane sehr kompliziert sind, nur in unglaublich geringen Mengen vorkommen und bisher überhaupt nicht synthetisiert werden konnten“, so Tanja Gaich. Anfang 2020 gelang ihrer Arbeitsgruppe die Synthese von Canataxpropellan, eines der komplexesten Naturstoffe, die bislang im Labor nachgebaut werden konnten. Aufbauend auf diesem Erfolg möchte Gaich die Förderung im Rahmen des ERC Consolidator Grant nutzen, um nun auch die weiteren Moleküle dieser Gruppe zu synthetisieren.

Strukturelle Dekonvolution
Hierfür hat sie eine neue Strategie entwickelt, die gegenüber herkömmlichen Synthesemethoden entscheidende Vorteile hat: „Im Gegensatz zur vorherrschenden Methodik nehmen wir das komplexeste Molekül aus der Familie, in diesem konkreten Fall das bereits von uns erfolgreich synthetisierte Canataxpropellan, und wandeln es mithilfe von struktureller Dekonvolution gewissermaßen in die anderen Moleküle um.“ Dekonvolution heißt, dass systematisch nach und nach gezielte Vereinfachungen an der bereits synthetisierten Struktur vorgenommen werden, wobei die besondere Herausforderung in der selektiven und maßgeschneiderten Transformation des Moleküls liegt. Bislang wurde bei der Synthese immer vom jeweils einfachsten Baustein eines komplexen Moleküls ausgegangen. Der entscheidende Vorteil der kooperativen Synthese mittels struktureller Dekonvolution besteht darin, dass nicht für jedes komplexe Molekül ein eigener Syntheseweg vorgesehen werden muss, sondern sich durch die einmalige Synthese des komplexesten Bausteins alle weiteren, einfacheren Verwandten davon ableiten lassen.

„Der Prozess ist vom Aufwand her wesentlich überschaubarer, ermöglicht es uns, neue chemische Reaktionen zu entwickeln und anschließend Struktur und Aktivität der so erzeugten Naturstoffe in Beziehung zueinander zu setzen, um ihre Wirksamkeit zu testen“, so Gaich. Ergibt sich hieraus ein Muster, ist ein rationelles Medikamentendesign prinzipiell möglich: „Nach der Theorie kann man aufgrund der Strukturaktivitätswirkungsbeziehung recht zuverlässig sagen, welche Veränderungen am Molekül welche Folgen haben müssen. Das ist insbesondere deshalb interessant, weil sich aufbauend darauf Moleküle herstellen lassen, die zwar nichts mehr mit dem Naturstoff zu tun haben, aber für pharmazeutische Anwendungen relevant sein können. Davon sind wir aber noch sehr weit entfernt.“

Die Wirkung von Naturstoffen im Körper optimieren
Unabhängig von ihrem ERC Consolidator Grant ist Tanja Gaich außerdem an einem gemeinsamen Forschungsvorhaben mit Prof. Dr. Christine Peter (Fachbereich Chemie) und Prof. Dr. Thomas Mayer (Fachbereich Biologie) an der Universität Konstanz beteiligt, das sich speziell mit der Strukturaktivitätswirkungsbeziehung von Molekülen beschäftigt. Dieses Blue-Sky Projekt wird aus Mitteln der Exzellenzstrategie an der Universität Konstanz gefördert. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kombinieren hierzu ihre Expertisen in der Synthese, im Molecular Modelling und in der Zellbiologie, um Naturstoffe im Zusammenhang mit ihrem biologischen Ziel zu untersuchen. „Wir schauen vereinfacht gesagt, wo und wie der Naturstoff in der Zelle wirkt und gewinnen hieraus Erkenntnisse darüber, was wir optimieren müssen, damit Naturstoff und biologische Struktur noch besser zusammenpassen.“


Faktenübersicht:

  • ERC Consolidator Grant 2020 für Prof. Dr. Tanja Gaich, Professorin für Organische Chemie an der Universität Konstanz.
  • Förderung für ein Projekt mit dem Titel „Cooperative Synthesis by Molecular Deconvolution“ (CoSyMoDe) zur Weiterentwicklung einer neuen, vereinfachten Methode der Naturstoffsynthese.
  • Im Gegensatz zu herkömmlichen Methoden, die für jedes komplexe Molekül einen eigenen Syntheseweg vorsehen, setzt CoSyMoDe beim komplexesten Molekül einer Gruppe an. Durch systematische Vereinfachungen seiner Struktur können mittels bestimmter chemischer Reaktionen alle weiteren verwandten Moleküle davon abgeleitet werden.
  • Erprobung am Beispiel von hochkomplexen Taxan-Molekülen, die bislang nicht im Labor hergestellt werden konnten, die jedoch für die pharmazeutische Erschließung in Frage kommen.
  • Fördersumme: bis zu zwei Millionen Euro.
  • Förderdauer: fünf Jahre.